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04. Mai 2023

Reise zum neuen Mittelpunkt der Erde –
der Nahe Osten zwischen geopolitischen Verwerfungen und einem neuen Machtgefüge


Naher Osten Bild 1Im Schatten des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine erlebt der Nahe Osten dramatische Veränderungen: diplomatisches Tauwetter zwischen den großen Rivalen Iran und Saudi-Arabien, Normalisierung arabischer Staaten mit Israel und zeitgleich eine Verschärfung des israelisch-palästinensischen Konflikts. Ein hoher Ölpreis, neue Energie- und Infrastrukturprojekte lenken den Fokus auf eine Region, die nicht mehr nur als Krisenherd und Spielball internationaler Mächte wahrgenommen wird, sondern ihr Schicksal teilweise selbst in die Hand nimmt. Welche Folgen hat das für uns in Europa? Dieses top aktuelle Thema hatte sich der Aktionskreis für Wirtschaft, Politik und Wissenschaft e.V. bei seiner Veranstaltung im Bayerischen Landtag am 4. Mai 2023 vorgenommen und dazu einen höchst kompetenten Referenten aus Berlin eingeladen.
Naher Osten Bild 2Daniel Gerlach, Autor, Historiker und Orientalist, ist Chefredakteur des Nahost-Magazins zenith und Direktor der Candid Foundation in Berlin. Gerlach studierte Geschichte und Islamwissenschaft an den Universitäten Hamburg und Paris IV Sorbonne. Er tritt regelmäßig in deutschen und internationalen Medien als Nahost-Experte auf und kommentiert die aktuelle Lage in der Region. Gerlach ist beratend an Friedensinitiativen in Syrien und dem Irak beteiligt. Zuletzt sind von ihm die Bücher "Die Letzten Geheimnisse des Orients – Meine Entdeckungsreise zu den Wurzeln unserer Kultur" (C. Bertelsmann) und "Der Nahe Osten geht nicht unter – Die arabische Welt vor ihrer historischen Chance" (Edition Körber) erschienen. Beim AKWPW referierte er zum Thema: "Reise zum neuen Mittelpunkt der Erde - der Nahe Osten zwischen geopolitischen Verwerfungen und einem neuen Machtgefüge".
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Gerlach bescheinigte den Ländern des Nahen Ostens einen "neuen Tatendrang" und eine "Emanzipation". "Früher wollten die Golfstaaten die US-Amerikaner auf keinen Fall verärgern, heute enthalten sie sich bei wichtigen internationalen Entscheidungen bzw. treffen diese autark", so Gerlach. "Die Länder des Nahen Ostens schaffen heute eigene Fakten. Der persische Golf ist sozusagen der neue Mittelpunkt des Machtzentrums. Die Nahost-Ländern öffnen heute eigene diplomatische Kanäle, sind strategische Alliierte, bringen sich als Mediator ein und verfolgen eigene geopolitische sowie militärische Ziele", so der zenith-Chefredakteur weiter. Pessimistisch blickte der Referent dabei auf die Rolle Deutschlands: "Deutschland hat heute kaum noch Einfluss auf die Region Naher Osten. Ich frage mich ernsthaft, welches Druckmittel haben wir als Europa überhaupt noch? Aber irgendwie müssen wir ja aus dieser Misere wieder herauskommen! Ein "PR-Stunt" wie die "One Love-Binde" bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Katar im vergangenen Jahr hat Deutschland in der arabischen Welt nachweislich nur geschadet. Die Geste war fatal und die an den Tag gelegte moralische Selbstgerechtigkeit hat viel Zutrauen zerstört."
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Im Vortrag stand die genaue Betrachtung hauptsächlich der Länder Syrien, Saudi-Arabien, Iran, Irak, Jordanien, Jemen und Israel im Vordergrund. Positiv beurteilte Gerlach, dass es in einigen Ländern der Region durchaus Veränderungen zum Guten hin gibt, aber er warnte gleichermaßen, dass wir Deutsche und Europäer dort nicht den gleichen Anspruch an Demokratie, Menschenrechte und Werte wie bei uns stellen dürfen. Er ging auf die Unterzeichnung der Abraham-Abkommen zwischen den Vereinigten Arabischen Emiraten, Israel und weiteren ein, die zum Vorteil Deutschlands sind. Israel bezeichnete Gerlach als "die neue Supermacht in der Region". Das derzeitige Tauwetter zwischen den eigentlichen Erzfeinden Iran und Saudi-Arabien unter Vermittlung des Iraks und Omans könnte Gerlach zufolge für die Region positiv sein. Die Straße von Hormus ist laut dem Orientalisten von "zentraler Bedeutung als Zentrum für den Welthandel". Äußerst skeptisch zeigte sich Gerlach gegenüber dem Verhalten der Bundesregierung im Nahen Osten. "Mir kommt das manchmal so vor, als wenn sich Berlin in einem Paralleluniversum befindet. Was will die Bundesregierung überhaupt? Grüne Energie im Nahen Osten produzieren? Den Mindestlohn am Golf durchsetzen? Eine neue Volksgruppe der Jesiden im Irak aufbauen? Den Klimawandel dort bekämpfen? Es wäre mal dringend ein Reality Check in Berlin notwendig! Die Diskrepanz zwischen deutschem Wunschdenken und Wirklichkeit vor Ort ist immens."
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In der anschließenden lebhaften Diskussion stellte der Iran einen Schwerpunkt dar. Daniel Gerlach ordnete die Unruhen, die in dem Land vor einiger Zeit stattgefunden hatten, für das Auditorium sachgerecht und kompetent ein. Einen größeren Wandel des Regimes dort sieht er auf längere Zeit nicht. Das würde dem zenith-Chefredakteur zufolge nur dann gelingen, wenn das Regime maximal große Fehler beginge und die größten wären dabei deutliche Konzessionen gegenüber den Protestierenden. Gerlach stellte die These in den Raum, dass ein konstruktiver Wandel im Iran nur dann gelingen kann, wenn das Regime und die Protestbewegung sich gegenseitig belügen. "Die Dynamik eines Dialogs untereinander kann dann entstehen, wenn einerseits das Regime sich auf die Protestierenden etwas zubewegt und andererseits die Protestbewegung so reagiert, dass es für das Regime gesichtswahrend geschieht. Ein Problem ist, dass einige Protestierende nicht mit dem Regime verhandeln wollen, aber natürlich muss man das mit ihm diplomatisch tun", so Gerlach. Kritik äußerte der Chefredakteur an, wie er sie nannte, "Talkshow-Aktivisten", die jede Woche in Gesprächsrunden im deutschen TV sitzen, sich für Experten halten und den Iran teils seit Jahren schon nicht mehr bereist haben. Einige von ihnen forderten, die diplomatischen Beziehungen zum Iran in Gänze abzubrechen. Gerlach bezeichnete das als "überhaupt nicht zielführend" und forderte: "Auch wenn es schwerfällt. Wir müssen mit dem Regime im Iran flexibel bleiben." Ebenso kritisierte er die Maximalforderungen einiger Pressure Groups im Deutschen Bundestag im Hinblick auf die politische Führung im Iran als kontraproduktiv.
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Mitglieder des Beirats zusammen mit dem Vorsitzenden und Referenten v.l.n.r.: Helmut Six, Wolfgang Schichtel. Hans Fritz, Tobias Kurzmaier (Vorsitzender), Daniel Gerlach, Hermann Habeck, Wolfgang Durner.

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